JAROCINER KREISBAHN (Witaszyce - Zagórów) - 600 mm
Diese urwüchsige Kleinbahn nahm auf der Grundlage des preußischen Schmalspurbahnengesetzes bereits am 1.11.1902 ihren Betrieb auf. Ihr Betriebswerk war in dem kleinen Ort Witaszyce in der Nähe der damaligen Kreisstadt Jarocin. Durch die Existenz der dortigen Zuckerfabrik wie auch einer Ziegelei sowie die direkte Nachbarschaft zur Normalspurstrecke Posen-Kattowitz (heute Poznan-Katowice) bot sich Witaszyce als Standort der Schmalspurbahn an.
Von Anfang an wurden auf der gesamten Strecke - dem Hauptgleis von Witaszyce nach Komorze sowie dem Abzweig nach Robaków - bis zu 6 Personenzüge betrieben. Die Strecke war auf einen größten Höhenunterschied von 20 Promille und eine Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h ausgelegt. Mit Stand vom 1.1.1949 wies die durch die polnische Staatsbahn PKP übernommene Strecke den folgenden Streckenverlauf auf:
Der Abschnitt von Robaków nach Tra,bczyn war 25 km und der von Grabina nach Zagórów 6,3 km lang. Am längsten wurde durch die PKP der 46 km lange Abschnitt von Witaszyce nach Zagórów betrieben. Hierzu kamen Dieseltriebwagen und Dampflokomotiven sowie ab Ende der 70er Jahre rumänische Dieselloks der Baureihe L30H (Lyd2) zum Einsatz. Zu spät erkannte man, dass diese Diesellokomotiven durch die Tunnelunterführung des Normalspurgleises zur Zuckerfabrik wegen ihrer gegenüber den Dampfloks größeren Höhe nicht durchpaßten. Somit konnte der bisherige Hauptkunde, die Zuckerfabrik, nach Außerdienststellung der Dampfloks nicht mehr bedient werden. So fiel ein großer Teil des bisherigen Güterverkehrs, der Zuckerrübentransport, weg. Im Sommer 1991 stellte die PKP den Dienst auf der Strecke komplett ein. Der vorherige PKP-Dienststellenleiter dieser Strecke, Marek Kaniewski, blieb als Partner von INTERLOK dem Eisenbahnwesen verbunden. Einen Eindruck der umfangreichen Gleisanlagen des Kleinbahnhofs von Witaszyce vermitteln diese Bilder - interessant auch die Weichenschalttafel im Bahnhofsamtraum.
Ein Unikum waren die beiden durch Lokführer Marciniak liebevoll gepflegten Triebwagen aus den 30er Jahren - hier einer der Wagen am Haltepunkt Gizalki. Einer der Wagen gehört heute zum Inventar des Eisenbahnvereins von Poznan. Der andere steht nach einer Odyssee durch verschiedene Standorte als "Denkmal" in reichlich abgewracktem Zustand auf dem Gelände des Bahnrevisionwerks in Bydgoszcz und wartet auf bessere Zeiten.
Während einer umfangreichen Sonderfahrt- und Filmaktion von INTERLOK und Eisenbahn Kurier / J.Schmidt-Filmproduktion konnte 1992 die gesamte Strecke noch einmal mit der von der Waldbahn HAJNÓWKA ausgeliehenen Heeresfeldbahn-Dampflok Tx 1112 abgefahren werden.
(Aufnahmen:H.Schmidtendorf)
Ein besonders interessantes Baudenkmal ist die kombinierte Eisenbahn-/Straßenbrücke bei Robaków - der überquerte Fluß bildete bis zur polnischen Unabhängigkeit 1918 die Grenze zwischen Preußen/Deutschland und Rußland.
Bei den Dreharbeiten kam auch ein Pferdefuhrwerk zu Ehren - das Zugpferd staunte nicht schlecht über den ungewohnten Klang der Dampfpfeife; in einer Drehpause verschwand der Bauer erst einmal in der Dorfkneipe am Strassenrand, wo er das im Winter dort als Spezialität kredenzte aufgewärmte Bier ("Glühbier") zu sich nahm...
Pikanterweise hatte es die Dampflok auf freiem Feld leichter als der Dieseltriebwagen - bei Wassermangel konnte die Dampflok in Bächen ihre Vorräte selbständig aufpumpen, während für den Triebwagen mehrfach per PKW in Kanistern Treibstoff nachzuliefern war...
Insgesamt fünf Mal schafften es Ex-Bahnhofsvorsteher Marek Kaniewski und INTERLOK, den drohenden Abbau der historisch wertvollen Strecke durch Interventionen bei höheren PKP-Dienststellen aufzuhalten. Doch der Verkauf des wertvollen Gleismaterials als Gebrauchtschiene (wie es später hiess, nach Brasilien) war offenbar beschlossene Sache. Die am Abriss interessierten PKP-Vertreter setzten sich schließlich in einer Nacht- und-Nebel-Aktion durch. An einem Feiertag, an dem Protest-Telegramme an die PKP-Zentrale keinen Empfänger finden konnten, liessen sie die Bahnüberführung über die Landstraße von Poznan/Witaszyce nach Katowice gleich am Beginn der Bahnstrecke abreißen. Damit war an einen Betrieb auf dem Streckennetz ohne Zutritt zum Bahndepot (am rechten Horizont des Fotos) nicht mehr zu denken.